Innerhalb von zwei Monaten hat es das neuartige Coronavirus geschafft, sich von China aus in weiten Teilen der Welt zu verbreiten. Das Ausmaß der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen ist noch nicht absehbar. Doch so viel ist gewiss: schon jetzt sind die Folgen erheblich.
Während die Infektionszahlen stündlich steigen, wächst auch das Risiko einer weltweiten Rezession. Die Unternehmensführungen in der ganzen Welt, aber gerade auch in der Exportnation Deutschland, stehen damit vor gewaltigen Herausforderungen. Wie sie diese Herausforderungen meistern, wird wesentlichen Einfluss darauf haben, wie gesund im doppelten Wortsinn die Unternehmen und ihre Beschäftigten die Coronavirus-Krise überstehen werden.
Frühere Coronavirus-Ausbrüche
Nun ist dies nicht der erste Coronavirus-Ausbruch. Bereits 2002/2003 gab es die SARS-Epidemie mit 26 betroffenen Ländern und 2012 die MERS-Epidemie in 27 Ländern. Die Sterberaten bei diesen Epidemien waren wesentlich höher als jetzt – für SARS knapp 10 Prozent und MERS gar 35 Prozent. Für das neuartige Coronavirus wird die Sterberate bei Infizierten auf unter 1 Prozent geschätzt.
Warum sind dann die weltweiten Folgen schon jetzt wesentlich schwerwiegender als damals? Das hat aus meiner Sicht vor allem zwei Gründe: erstens die schnellere Ausbreitung und zweitens die höhere globalen Vernetzung.
Am 28. Februar konstatierte der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO, dass außerhalb Chinas bereits 49 weitere Staaten betroffen waren. Die Ansteckungsrate scheint also wesentlich höher als bei vorgehenden Ausbrüchen zu sein. Und das hat etwas mit dem zweiten Grund zu tun, der höhere globalen Vernetzung. Die Zahl der Menschen, die privat und beruflich ins Ausland reisen, ist heute wesentlich höher als bei der SARS-Epidemie vor 18 Jahren, und die globale Arbeitsteilung ist stark gewachsen. Insbesondere der höhere Anteil Chinas an den weltweiten Produktionsketten hat das Risiko für Störungen der Lieferketten erhöht – mit potenziell erheblichen Auswirkungen für die Weltwirtschaft.
Was bedeutet all das jetzt für die Führung von Unternehmen? Hier sehe ich vor allem zwei Aspekte: die körperliche Gesundheit von Beschäftigten und Kunden sowie die wirtschaftliche Gesundheit des Unternehmens.
Führungsaufgabe Mitarbeitergesundheit
Die Unternehmensführung steht vor einem Dilemma: einerseits hat sie die Verantwortung, die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu schützen, andererseits ist es ihre Aufgabe, die Aktivitäten des Unternehmens so weit wie möglich aufrechtzuerhalten – was wiederum nur mit gesunden Beschäftigten geht. Aus diesem Grund sollte der Schutz der Mitarbeitergesundheit höchste Priorität haben. Die Basis dafür sollte eine permanent aktualisierte Risikobewertung und Krisenplanung sein. Konkret bedeutet das: Ab welchem Infektionsrisiko sind welche Maßnahmen zu ergreifen?
Für Beschäftigte mit administrative Tätigkeiten liegt es nahe, Homeoffice zu ermöglichen, um das Infektionsrisiko auf dem Weg zur Arbeit und an der Arbeitsstätte zu reduzieren. Schwieriger ist es im produzierenden Bereich und in Bereichen mit direktem Kundenkontakt: In der Automobilfertigung und im Supermarkt funktioniert Home Office nicht. Und für Verkäufer, die Messen und Kunden besuchen auch nicht.
Die kritische Frage lautet in diesen Fällen: Ab wann reichen Maßnahmen wie, Dienstreise-Einschränkungen, das Bereitstellen von Desinfektionsmitteln und Hinweise zum gründlichen Händewaschen nicht mehr aus?
Die oberste Führungsebene im Unternehmen sollte hierfür klare Regeln und Krisenpläne definieren, zugleich aber auch Führungskräften der weiteren Ebenen und den Beschäftigten Flexibilität bei der Umsetzung lassen.
Führungsaufgabe Betriebskontinuität
Die zweite Aufgabe für Führungskräfte ist es, die Kontinuität der betrieblichen Aktivitäten so weit wie möglich zu gewährleisten. Je nach Unternehmen und Branche gibt es dabei zwei einschränkende Faktoren: erstens die Mitarbeitergesundheit, die Priorität haben sollte, und zweitens der erforderliche Input in der Lieferkette. Wenn wesentliche Vorprodukte aus China kommen, gibt es ein Problem. Vorausschauende Unternehmen haben für das Lieferketten-Risiko einen Plan B entwickelt und entweder bereits jetzt ein diversifiziertes Netz aus Zulieferern oder sie haben zumindest einen konkreten Plan, wie sie Lieferausfälle ersetzen können. Zu hohe Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten aus China kann in dieser Situation zu einem existenzbedrohenden Problem werden.
Lehren aus der Coronavirus-Krise
Für abschließende Erkenntnisse, die Unternehmensführungen aus der Coronavirus-Krise ziehen können, ist es noch zu früh. Allerdings ist es wichtig, dass jedes Unternehmen Lehren aus der Coronavirus-Krise zieht. Dafür sollte die Unternehmensführung neben der konkreten Planung von Krisenmaßnahmen auch einen Prozess organisieren, um auf allen Ebenen Erkenntnisse aus der Krise zu erarbeiten und zu dokumentieren. In diesen Prozess sollten auch die Beschäftigten einbezogen werden. Wie der Umgang der chinesischen Parteiführung nach Ausbruch des Virus zeigte, ist Intransparenz in der Regel ein beschleunigender Faktor für Krisen jeder Art, insbesondere für Krisen wie den COVID-19-Ausbruch, bei denen der Zeitfaktor extrem wichtig für eine erfolgreiche Krisenbewältigung ist.
In manchen Unternehmen ist vorstellbar, dass sich die Haltung zum Home Office grundlegend verändert und es einen Schub für vermehrt dezentrales Arbeiten geben könnte. Damit sind wiederum neue Führungsherausforderungen verbunden, die vorab bedacht werden sollten. Des weiteren kann die aktuelle Krise auch manchem mittelständischen Unternehmen, das bisher ohne Krisenpläne gearbeitet hat, die Augen dafür öffnen, dass es wichtig sein könnte, solche Krisenpläne nicht nur schriftlich auszuarbeiten und in der Schublade zu haben, sondern sie auch regelmäßig in realitätsnahen Szenario-Simulationen zu testen. Darüber hinaus stellt sich gerade für produzierende Unternehmen die Herausforderung, wie sie ihre Lieferketten auf eine Weise diversifizieren und robuster gestalten können, dass sowohl Betriebskontinuität im Krisenfall wie auch Profitabilität im Normalfall gewährleistet bleiben.
Die Zeit, die Unternehmen in das Gewinnen von Erkenntnissen aus der Coronavirus-Krise stecken, ist gut investiert. Denn die nächste Krise kommt bestimmt.